Oksana Miroshnichenko-Braun
Lizensierte Gästeführerin in Heidelberg, Mannheim, Schwetzingen, Speyer, Weinheim und Region
Mitglied im Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e.V.
Mitglied des Heidelberger Gästeführer e.V.
Lizensierte Übersetzerin und Dolmetscherin: Deutsche, Russische, Ukrainische Sprachen
Welches ist Ihrer Meinung nach die romantischste Stadt Deutschlands?
Russen in Heidelberg
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22.05.08.07:41
War Heidelberg die Wiege der Russischen Revolution?
Anfang September 1862 besuchte der russische Bildungsminister Eufili Wasilivich Putiatin Heidelberg. Er war sehr besorgt, weil es in den Köpfen Russischer Studenten „sehr brodelte“. Die Tradition Deutscher Studenten Korporationen war auch in Russland sehr populär und verbreitete sich rasch. Bevor Putiatin nach Heidelberg kam, hatte er versucht, in Russland die Studentenverbindungen zu verbieten. Damit löste er eine Welle von Protesten aus, die schnell zu Massenkundgebungen führten. Am Ende wurden sogar einige russische Universitäten geschlossen. Viele Studenten dieser Universitäten, die finanziell dazu in der Lage waren, flohen einfach vor Putiatins` Argusaugen nach Heidelberg und führten hier ihr Studium fort. Sie beteiligten sich auch hier weiter an den liberalen Bewegungen.

Putiatin folgte diesen „Flüchtlingen“ nach Heidelberg. Um den ramponierten Ruf des russischen Imperiums nicht weiter zu ruinieren, wollte er diese jungen Revolutionäre unbedingt nach Hause zurückholen. Er hielt eine Rede am Heidelberger Universitätsplatz mit einem flammenden Apell an das Nationalgefühl. Die jungen russischen, polnischen und deutschen Studenten hörten dieser Rede zwar zu, aber, wie die Zeitungen der damaligen Zeit berichteten, „arrangierten ein Katzenjammerkonzert mit Gejohle. Die „tapferen“ Heidelberger Polizisten eilten Putiatin mit gezogenen Säbeln zu Hilfe. Es begann eine Schlacht.“ Diese Ereignisse wurden in Russland Dank der Berichterstattung der revolutionären Zeitschrift „Kolokol“, Die Glocke, sehr schnell bekannt.

Wer weiß – möglicherweise war dadurch hier in Heidelberg, in den Köpfen damaliger junger Freidenker, die nach diesem missglückten Versuch des Russischen Ministers, wegen der lautstarken Proteste ihre Strafe im Heidelberger Studentenkarzer absitzen mussten, die Idee der Russischen Revolution geboren. Ihre revolutionären Ideen verbreiteten sich rasch und zeigten aller Welt, dass Russland nur ein Koloss auf schwachen Beinen war. Etwa 5o Jahre nach diesen Ereignissen vernichtete die rote Welle der Volksrevolution das gesamte russische Reich.
Um die Jahrhundertwende war die Russische Sozialrevolutionäre Partei in Heidelberg unter den Studenten stark vertreten. Damals spaltete sich die russische Revolutionsbewegung in zwei mächtige Zweige. Einmal die Bolschewiki, die auf marxistischem Boden im Kampf gegen den Zarismus standen und zum anderen die sozialrevolutionäre Partei, die für die werktätigen Massen des Volkes stand und für den Zusammenschluss von Arbeitern, Bauern und geistigen Arbeitern eintrat. Ihre Hauptforderung war die Sozialisierung von Grund und Boden. In der Verfassunggebenden Versammlung vom 5. Januar 1918 hatten sie die Mehrheit. Als sie die durch den Oktoberputsch der Bolschewiken geschaffenen Fakten nicht anerkannten, löste Lenin die Verfassunggebende Versammlung einfach auf und verhaftete die Führer der Sozialrevolutionären Partei.

Vertreter der Sozialrevolutionäre sind als Heidelberger Studenten nachgewiesen. Boris Kac z.B., mit Pseudonym Kamkov, war Jurastudent und gehörte zum Bekanntenkreis von Gustav Radbruch. Boris Savinkov, Leiter der Kampforganisation der Sozialrevolutionäre, studierte ebenfalls in Heidelberg Jura. Vladimir Zensinov, Abram Goc, Il`ja Fondaminskij und dessen spätere Frau Amalija Gavronskaja belegten in Heidelberg das Sommersemester 1901.
Zensinov schrieb in seinen Memoiren, die 1953 nach seinem Tod in New York erschienen. ein ganzes Kapitel über Heidelberg. Hier ein kleiner Auszug: „Der Sommer in Heidelberg war folgenschwer für mein Leben. Er bestimmte mein Schicksal und ich weiß bestimmt, dass die Erinnerung an diesen Sommer bis zur letzten Minute meines Daseins in mir lebendig sein wird. Er war das Wunderbarste, das ich je erlebt habe – des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder. Mein erster Tag in Heidelberg verlief wie im Traum. Abram hatte mich vom Bahnhof abgeholt. Er führte mich durch die Stadt, als ob alles ihm gehörte. Überall sah ich bunte Fahnen. Abram sagte mir, dass der Beginn des neuen Semesters gefeiert würde. Die Stadt lebte durch und mit der Universität.“ Zum ersten Mal sah Zensinoiv Studenten der Heidelberger Korporationen mit ihren bunten Schärpen und farbigen Mützen, die den studentischen Landsmannschaften wie Borussia, Rhenania oder Thuringia angehörten – eine Tradition, die dem Mittelalter entstammte. Er hatte sich im „Scheffelhaus“ einlogiert, in dem auch der berühmte Heidelberger Dichter Victor von Scheffel lebte.

Über diese und andere Ereignisse aus der Geschichte russischer Studenten und Wissenschaftler in Heidelberg können Sie mehr erfahren, wenn Sie meine Themenführung „Russen in Heidelberg“ buchen.

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